Die Gläser sind gefüllt, nun aber alle ran an den Tresen! Denn Wioletta Greg möchte mit uns auf ihre frühen Studienjahre in Częstochowa anstoßen und die munden wirklich vorzüglich: nach muffigen Jacken und Wollpullovern, nach Feuchtigkeit, altem Papier und Zigaretten, nach Schmiere, Karbid und Sägespänen sowie nach frisch gebrühtem Kaffee, der den üblen Gestank der Sauferei vom vorigen Abend überlagert. Und dies ist nur ein Bruchteil der Gerüche, die der polnische Wallfahrtsort verströmt, in dem Gregs Protagonistin Wiolka in den frühen 1990er Jahren ihr Literatur-Studium aufnimmt. Schon auf einer olfaktorischen Ebene unterscheidet sich die unwirtliche Stadt Częstochowa vom kleinen Dörfchen Hektary, das im Zentrum des wundersamen Vorgängerromans Unreife Früchte (C.H.Beck-Verlag, 2019) stand.
Der in Großbritannien lebenden Schriftstellerin und Lyrikerin Wioletta Greg (eigentlich: Grzegorzewska) sollte angerechnet werden, dass sie sich nicht selbst kopiert – so wie es der Verfasser dieser Zeilen im vorangegangenen Absatz getan hat. Ihr Roman Die Untermieterin (C.H.Beck-Verlag, 2019), erneut übersetzt von Renate Schmidgall, führt auf ganz andere stilistische und formale Pfade als der erste Teil ihres autobiographisch angelegten Romanprojekts über ihre polnische Kindheit und Jugend.
”„Es ist das erste eigene Zimmer in meinem Leben, und das in einem Hotel mit dem Namen des hellsten Sterns am Nordhimmel, denke ich, und als mich ein plötzliches Glücksgefühl überkommt und einzuschläfern beginnt, dröhnt auf dem Flur der mir vom Abiball und von Hochzeiten bekannte Hit Wheel of Fortune von Ace of Base.“
Wioletta GregDie Untermieterin
Anstelle sich wie zuvor auf poetische, atmosphärisch dichte Miniaturen zu konzentrieren, versucht sich Greg nun an dialoglastigen, längeren erzählenden Passagen. In diesen treffen wir auf erfreulich zweifelhafte Charaktere, denen die junge Studentin auf ihrer Suche nach einer günstigen Herberge begegnet. Darunter die versoffenen russischen Brüder Sergej und Aleks im Arbeiterhotel Wega, oder die schrullige Oberin Stanisława, die in ihrer Untermieterin ihre ermordete Tochter zu erkennen glaubt.
Doch das spinnerte Personal kann nicht verhindern, dass der Roman viel zu häufig in die Belanglosigkeit abrutscht: Zahlreiche Passagen werden nicht auserzählt, eine entbehrliche Liebesgeschichte erschließt sich nicht, unnötige Rückblenden werden eingeflochten. Eine jede Fortsetzung muss es sich gefallen lassen, mit ihrem Vorgänger verglichen zu werden. In diesem Fall zu Ungunsten des Folgebandes.