Marko Dinić: Die guten Tage

Von 15.09. 2019 August 31st, 2020 Bücher

„Meine Mutter und ich ertragen die Züchtigungen, denn sie gehören sowohl zum Kommunismus von damals als auch zum orthodoxen Nationalismus von heute. Egal auf welche Ideologie oder Religion man in Serbien gerade eingeschworen ist, die Fäuste der Männer regieren immer.“

Marko DinićDie guten Tage

Doch irgendwann kann der Körper so viel Ideologie und Scheiße nicht mehr fressen. Irgendwann sind die Hälse gestopft und die Köpfe zu. Dann hat das alles hier ein Ende. Dann ist Schluss mit den Strafen und der Indoktrination. Schluss mit den falschen Vätern mit Schweinegesicht, die den Krieg mit nach Hause gebracht haben. Schluss mit den einstigen Schlächtern, die nie für ihre Verbrechen zahlen mussten. Schluss mit der Entmündigung einer ganzen Generation. Doch Schluss ist noch lange nicht.

Auch diese Busfahrt will und will nicht enden. Neuneinhalb Stunden benötigt das burgunderrote Euroliner-Monstrum von Wien nach Belgrad. Der namenlose Ich-Erzähler in Marko Dinićs Debütroman Die guten Tage (Zsolnay Verlag, 2019) saß schon einmal im sogenannten „Gastarbeiterexpress“. Das war vor zehn Jahren und die Fahrt ging in die andere Richtung. Denn kurz nach dem Abitur floh er aus der weißen Stadt: aus Furcht und Ekel vor dem serbischen Nationalismus vor, während und nach den Jugoslawienkriegen, aus Furcht und Ekel vor seinem Vater. Nun zwingt ihn der Tod der Großmutter zur Rückkehr zu diesem erbärmlichen Flecken Erde, der sich Heimat nennt.

Auf der Reise begegnet sich der Erzähler, den alle nur Švabo nennen (ugs. Bezeichnung für alle Deutschsprachigen), in gleich mehrfacher Hinsicht selbst. Vordergründig betrifft dies sein jüngeres Ich: In den Text eingeflochten sind zahlreiche Erinnerungssequenzen, die sich mit der Belgrader Jugend des Protagonisten auseinandersetzen. Dies betrifft aber auch seinen fantastisch anmutenden Sitznachbarn, der sich im Verlauf der Handlung als sein Alter Ego entpuppen wird. Denn dieser Mitreisende arbeitet an einem Buch über den Balkan und seine Bewohner – ein Projekt, das in vielen Details auf den Roman verweist, den man gerade in den Händen hält. Ein Roman, der nicht zufällig in den heruntergekommenen Stadtteil Vidikovac führt, was auf Deutsch so viel wie „Aussichtspunkt“ bedeutet. Ein Ort, der Reflexion und Einsicht verspricht, und dennoch keine Genugtuung oder Befried(ig)ung ermöglicht. Noch lange nicht.

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