”„Bruder, so geht das nicht! Schon zwei Stationen, die du uns nicht zum Rauchen aussteigen lässt! Bei der nächsten aber, okay, bitte?“ / „Wirklich wahr, wo gibt’s denn so was – seit zwei Stunden keine Zigarettenpause!“
Elvira MujčićBalkan Blues
Früher hätte es das nicht nicht gegeben. Da haben die bosnischen Busse wenigstens einmal in der Stunde Halt gemacht. Nach einer langen Busfahrt fasste Lania meist den Entschluss, mit dem Rauchen aufzuhören. Ihr war schlecht von den vielen Kippen. Doch wie jeder vernünftige Vorsatz verlief auch dieser im Sande. Gleiches galt für ihr Vorhaben, die Familie in Bosnien häufiger zu besuchen. Denn im Grunde reiste sie nur mehr aus einem einzigen Grund in ihre ehemalige Heimat: Beerdigungen. Die Reise, die sie gemeinsam mit ihren Brüdern Zelig und Candide in Elvira Mujčićs Roman Balkan Blues (btb Verlag, 2019) unternimmt, stellt diesbezüglich keine Ausnahme dar. Ihre Großmutter ist gestorben. An einem Herzinfarkt, mit 87 Jahren.
Zufall oder nicht, der öffentliche Fernverkehr spielt in gleich mehren Romanen, die sich in jüngerer Vergangenheit mit (ex-)jugoslawischen Familiengeschichten auseinandergesetzt haben, eine zentrale Rolle. Während der Protagonist in Marco Dinićs Die guten Tage mit dem sogenannten „Gastarbeiterexpress“ von Wien nach Belgrad reist, wählt die junge Frau in Ivna Žics Die Nachkommende den Zug, um von Paris nach Kroatien zu gelangen. Weitere Beispiele ließen sich finden. Lania und ihre Brüder, die während des Bosnienkriegs in den 1990er Jahren mit ihrer Mutter nach Italien geflüchtet waren, sind auf gleich mehrere Verkehrsmittel angewiesen, um ihr Ziel zu erreichen: Züge, Busse, ein Rentnertrupp nostalgischer KommunistInnen, ein schmierig-korrupter Gelegenheits-Taxler und die eigenen Füße bringen sie an ihre entlegene Destination.
Dass es sich dabei um den Ort Srebrenica handelt – untrennbar verbunden mit dem Massaker an über 8000 Bosniaken im Juli 1995 – erschließt sich erst im Verlauf des Romans. Denn durch die geographische Annäherung konkretisieren sich die Orte und Ereignisse, werden die Brüche und Verwerfungen in der Familienbiographie der drei Reisenden ersichtlich, die durch den Krieg ihren Vater verloren haben. Dennoch wählt Mujčić für diese Thematik einen humorvoll-leichten Ton. Ihr Buch ist ein amüsanter Roadtrip durch das ehemalige Jugoslawien. Wie ihre ProtagonistInnen scheint die Autorin daran glauben zu wollen, „dass der Tod nichts Besonderes ist, dass er uns beim nächsten Mal nicht überrumpelt, dass er keine so tiefen Wunden mehr hinterlässt wie früher.“ Eine ähnliche Strategie verfolgen die Geschwister in Bezug auf ihre Großmutter. Schon vor dem Tod der Nana machen sie immer wieder makabre Scherze über deren Ableben, in der Hoffnung, dass sie durch die vielen Witze am Ende doch nicht sterben wird.
Ohne jeden Zweifel weist Elvira Mujčićs Roman zahlreiche autobiographische Bezüge auf. Die Autorin wurde 1980 in Jugoslawien geboren und kam im Alter von 12 Jahren als Flüchtling nach Italien, wo sie bis heute lebt. Ihre Romane und Theaterstücke schreibt sie auf Italienisch. Die Originalausgabe von Balkan Blues – das von Barbara Schaden ins Deutsche übertragen wurde – trägt den wesentlich schöneren Titel Dieci prugne ai facisti (Zehn Zwetschgen für die Faschisten). Was es damit auf sich hat, verrät am Schluss des Buches eine alte Kassetten-Aufnahme der Großmutter, die kurz vor deren Beerdigung auftaucht. Da sich im Haus der Familie kein Abspielgerät findet, um die Kassette anzuhören, drängen sich die Familienmitglieder in einen militärgrünen Zastava Yugo. Und so ist es erneut ein Fahrzeug, in dem Erinnerungen geborgen werden – auch wenn das Auto-Wrack mit dem bezeichnenden Namen nicht einmal mehr Reifen hat.
Das Buch klingt sehr spannend, ich hatte es bei dir schon auf Insta gesehen. Deutlich dringender muss ich dir aber meine Freude über diesen Blog überbringen. Und dann ist er auch noch bespielt, trotz frischer Ankündigung! Der Wahnsinn. Ich bin gespannt, was noch kommt, meinen Glückwunsch zur Neueröffnung!
Ganz lieben Dank. Sehr viele ältere Beiträge habe ich für die Seite schon überarbeitet. Der Rest wird dann in den kommenden Wochen nach und nach folgen. Und in welcher Form ich die vielen neuen Möglichkeiten nutzen werde, die sich durch die Webseite ergeben, das wird sich alles noch zeigen. Aber ein paar Ideen habe ich da schon. 🙂