Die autobiographische Erzählung Sommerstück war Christa Wolfs letzte größere Veröffentlichung vor dem Fall der Mauer. Sie erschien im Frühjahr 1989. Erste Fassungen des Textes entstanden jedoch bereits in den späten 70ern – unmittelbar nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns (1976), die bei den ostdeutschen Intellektuellen eine tiefe Resignation und Sinnkrise zur Folge hatte. Eben diese stellte Wolf ins Zentrum ihrer Erzählung, die über keine Handlung im klassischen Sinne verfügt. Stattdessen widmet sich ihr Prosastück der Spannung zwischen dem utopischen Gehalt des Sozialismus und der allgegenwärtigen Einsicht in dessen Scheitern; den verlorenen Illusionen in Zeiten des politisch-gesellschaftlichen Stillstands.
”„Die Unfähigkeit zu handeln als Schuld. Schuld, daß sie ihre Pläne, Entwürfe, da man sie ihnen mit mehr oder weniger Aufwand, mehr oder weniger plump abgeschmettert hatte, einen nach dem anderen zurückgezogen, beiseite gelegt hatten. Auf kleiner Flamme kochen, nannte man das wohl. Sich in eine Umgebung zurückziehen, die einem nicht mehr melden konnte, wieweit man sich durch Selbstaufgabe verfehlte.“
Christa WolfSommerstück
Erzählt wird in dem Buch von der brüchigen Idylle eines Sommers in einem Mecklenburger Landhaus, das unschwer als dasjenige der Wolfs zu identifizieren ist. Auch die hier versammelten Figuren beziehen sich auf real existierende Personen: darunter Sarah Kirsch, Helga Schubert, oder das Ehepaar Maxie und Fred Wander. Der gemeinsame Rückzug ins Private wird als ein Versuch geschildert, mit der damaligen Enttäuschung umzugehen und die eigene Sprachlosigkeit zu überwinden. Ziel war es, Vergangenes zu reflektieren und ein neues Verantwortungsbewusstsein für die Zukunft zu artikulieren.
Das Miteinander im vermeintlich staatsfreien Raum verweist dabei auf die Zusammenschlüsse romantischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller, mit denen sich Wolf bereits in ihrer Erzählung Kein Ort. Nirgends (1979) auseinandergesetzt hatte. Hier wie dort wohnt diesen Gemeinschaften ein utopisches Moment inne. Und so gelingt es der Protagonistin aus Sommerstück am Ende tatsächlich, zu innerer Unabhängigkeit zu gelangen und ihre Schreibblockade zu überwinden. Doch gerade in dieser positiven Wendung bestätigt sich umso mehr der Kontrast dieser elitären „Insel der Seligen“ zu den tatsächlichen Verhältnissen in der DDR, die selbst den Figuren der Erzählung nicht mehr lebbar erschienen.
Besonders interessant an der Erzählung Sommerstück – deren Titel ganz klar auf Maxim Gorkis Theaterstück Sommergäste aus dem Jahr 1904 verweist – ist deren oben angesprochener werkgeschichtlicher Anachronismus. Denn obwohl der Text zum größten Teil bereits in den späten 70ern entstand, sah Wolf lange Zeit von einer Veröffentlichung ab, da sie ihre Erzählung weder als Schlüsseltext noch als Idylle verstanden wissen wollte. Unterbrochen wurde der Schreibprozess zudem vom weltpolitischen Geschehen. Bedingt durch das Ende der Entspannungspolitik (NATO-Doppelbeschluss, 1979) und die erhöhte Gefahr einer internationalen atomaren Auseinandersetzung, sah sie ihr Kassandra-Projekt – bestehend aus der gleichnamigen Erzählung und den dazugehörigen Poetik-Vorlesungen – als die politisch-gesellschaftlich dringlichere Arbeit an.