Vor einigen Jahren habe ich mir in den Kopf gesetzt, meinem damaligen Wohnort Berlin für ein paar Wochen den Rücken zu kehren und in die ungarische Hauptstadt zu ziehen. Einfach so. Ich war zum damaligen Zeitpunkt nicht ortsgebunden, finanziell leidlich versorgt, und eine gut gelegene Berliner Wohnung lässt sich ja gut untervermieten. Zwei junge Däninnen zogen ein. Und ich selbst fand mich schon bald in einer großbürgerlichen Unterkunft gleich in der Nähe der Budapester Oper wieder. Mindestens genauso viel Glück hatte ich mit meiner Mitbewohnerin, die mich in die Künstler- und Oppositionellen-Kreise der Stadt einführte. Da sie alle paar Monate ihre Kontaktadressen ändert, haben wir uns mittlerweile leider aus den Augen verloren.
Ein mir wichtiges Erinnerungsstück an meine Zeit in Budapest ist das Buch Ende eines Familienromans von Péter Nádas, das ich in der schönen Autorenbuchhandlung auf dem Andrássy Boulevard entdeckt habe. Das Geschäft beim belebten Franz-Liszt-Platz verfügt glücklicherweise über eine kleine Sektion übersetzter ungarischer Literatur.
Seinen autobiographischen Erstlingsroman schloss der Schriftsteller und Photograph Péter Nádas bereits Anfang der 1970er Jahre ab – erscheinen konnte das komplexe, weitestgehend auf Absätze verzichtende und nicht unbedingt zugängliche Werk jedoch erst 1977. Denn die staatlichen Zensurbehörden hielten das Buch lange Zeit zurück, da es eine allzu kritische Auseinandersetzung mit der ungarischen Vergangenheit darstellte und unangenehme Fragen aufwarf. Vorwürfe, die Nádas bis in die Gegenwart verfolgen, gilt er doch als vehementer Kritiker des Orbán-Regimes und dessen zweifelhafter Erinnerungspolitik. In deutscher Sprache erschien das Buch erst 1993 im Rowohlt Verlag, in der Übersetzung von Hildegard Grosche.
Der aus der Ich-Perspektive eines kleinen Jungen erzählte Roman spielt zur Zeit der Stalin-Ära. Verknüpft wird darin die Erfahrung des totalitaristischen Terrors in Ungarn mit der langen Leidensgeschichte des Judentums, die über den Großvater an den Jungen herangetragen wird. Sprache und Reflexionsvermögen des Kindes aber sind „erwachsen“, die politischen und religiösen Verweise zahlreich und nicht immer zu entziffern. Vollkommen deutlich jedoch wird die fundamentale Beschädigung des Menschen in der Diktatur, die Péter Nádas in seinem Buch in makelloser Prosa herausarbeitet.