Die 1961 in Ost-Berlin geborene Radio-Moderatorin und Autorin Marion Brasch trägt einen bekannten Namen. Ihr Vater Horst Brasch war einst hochrangiger SED-Funktionär und stellvertretender Minister für Kultur der DDR. Ihre drei Brüder waren der Autor und Filmemacher Thomas Brasch, der 1976 nach West-Deutschland ausreiste, der Schauspieler Klaus Brasch, zu sehen in Filmen wie Nackt unter Wölfen und Solo Sunny sowie der Schriftsteller Peter Brasch, der mit Kinderbüchern und Hörspielen Erfolge feierte. All diese Namen tauchen jedoch im autobiographischen Roman Ab jetzt ist Ruhe (S. Fischer Verlag, 2012), der die „fabelhafte Familie“ der Autorin zum Gegenstand hat, an keiner Stelle auf. Weil Marion Brasch davon ausgeht, dass diese ihren Leserinnen und Lesern hinlänglich bekannt sind? Vielleicht. Möglicherweise aber auch, um ein letztes Geheimnis zu bewahren, um ihre Familie nicht der Indiskretion preiszugeben. Aus diesem Grund entschied sie sich für einen Text, der die „Fabel“ schon im Untertitel trägt. Den „autobiographischen Pakt“, also das Gelöbnis, nichts als die Wahrheit zu erzählen, wollte sie bewusst nicht eingehen. Und dennoch – oder gerade deshalb – ist ihr ein sehr ehrliches, warmherziges Buch gelungen.
Ab jetzt ist Ruhe ist das literarische Debüt Marion Braschs. Stilistisch ist es eher konventionell gehalten. In der Verwendung des Konjunktivs ist sie unsicher. Zudem wirken einige längere Satzkonstruktionen so unbeholfen, dass die Frage aufkommt, warum das Lektorat nicht korrigierend eingegriffen hat. Doch Braschs große Stärke besteht darin, dass man ihr all das nicht übelnimmt, ihr ganz im Gegenteil sogar gern zuhört. Kennt man sie aus dem Radio, wie der Verfasser dieser Zeilen, hat man beim Lesen ihre Stimme im Ohr. Eine Stimme, die eine Art Gute-Nacht-Geschichte erzählt. Für diese Lesart spricht nicht nur der Titel des Buches, der auf ein Ritual beim Zubettgehen der zwei jüngsten Brasch-Kinder anspielt. Entscheidender ist vielmehr die einfühlsame und verständliche Sprache des Textes, die sich mit vielen Erklärungen, gerade in Bezug auf das Aufwachsen und Leben in der DDR, an eine junges Publikum wendet. Ähnlich jung ist die Ich-Erzählerin des Buches. Denn erzählt wird der Roman aus der Perspektive einer heranwachsenden Frau, die ihre Rolle in der Familie und der Gesellschaft der DDR noch nicht gefunden hat. So leidet sie darunter, immer nur die „kleine Schwester“ ihrer erfolgreichen Brüder zu sein:
”„Meine drei Brüder hatten schon so wichtige Dinge getan, als sie in meinem Alter waren. Sie hatten rebelliert, um ihre Träume ins Leben zu holen. Und ich? Ich lebte so dahin und machte einen Kompromiss nach dem anderen.“
Marion BraschAb jetzt ist Ruhe
Als ebenso problematisch erweist sich das Verhältnis zu ihrem Vater, der aus dem Londoner Exil nach Ost-Berlin gekommen ist, um ein „neues Deutschland“ aufzubauen. Sein bedingungsloser Einsatz für den Sozialismus entfremdet ihn von seinen Kindern. Kurz vor seinem Tod muss er resigniert feststellen, dass es für ihn als „jüdischen Westemigranten“ in der DDR immer nur für die zweite Reihe gereicht hat: „Das war kein Zufall, das hatte System“. Er stirbt noch vor der Wende. Überhaupt ist der Tod in diesem Roman allgegenwärtig. Marion Brasch hat ihre Eltern und Brüder viel zu früh zu Grabe getragen und wird durch Ab jetzt ist Ruhe zu ihrer Nachlassverwalterin. Es ist ihr großes Verdienst, dass sie bei all der Tragik des Geschehenen nicht das Lachen verlernt hat. In ihrem bittersüßen Roman bringt sie das Leben ihrer fabelhaften Familie einer neuen Generation nahe.