Irgendwo auf dieser Welt wird heute die Sonne scheinen. Ungelogen. Drum basteln wir uns zur Feier des Tages doch mal ein besonders hübsches Instagram-Photo. Lässt sich gewiss noch weiter verwerten. Denn womöglich kommt der Verfasser dieser Zeilen irgendwann mal auf die Idee, sich eine eigene Webseite zuzulegen. Und auch diese kann gewiss keckes Bildmaterial vertragen. Also los geht’s!
Man nehme: 1. die graue Rückseite einer selten benutzten Yoga-Matte 2. ein altes Blümchen-Hemd, das so vergilbt ist, dass es locker als „Vintage“ durchgeht (war damals nach sehr kurzer Zeit im Abverkauf – und ja: es ist aus der Herrenabteilung) und 3. ein schön gestaltetes Buch einer international bekannten Autorin, das im besten Fall schon mal im Fernsehen empfohlen wurde, vielleicht ja sogar von Elke Heidenreich in ihrer ZDF-Sendung Lesen (die älteren Leserinnen und Leser werden sich erinnern…). Gerade der Bekanntheitsgrad der abgebildeten Publikation ist nicht zu unterschätzen. Denn im Internet wie auch im so genannten „echten Leben“ gilt: Geherzt wird vor allem das, was man schon kennt. Mit aufs Bild dürfen also Die Lügen der Frauen (Hanser Verlag, 2003) der russischen Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja. Eine gute Wahl. Und schwuppdiwupp ist das Photo auch schon fertig.
Den Lügen der Frauen – übersetzt von Ganna-Maria Braungardt – ist keine Genre-Bezeichnung vorangestellt. Und tatsächlich oszilliert das Buch irgendwo zwischen Kurzroman und Erzählband. Die darin enthaltenden Geschichten sind einerseits thematisch, andererseits durch die Hauptfigur Shenja miteinander verbunden. Diese trifft in den sechs Episoden des Buches auf ganz unterschiedliche Frauen (darunter Akademikerinnen, Heranwachsende und Sexarbeiterinnen), die trotz aller Unterschiede eine kleine Sache gemeinsam haben: allesamt lügen sie sich ihr Leben schön, um der Tristesse ihres postsowjetischen Daseins zu entfliehen oder überhaupt existieren zu können. Getreu dem bekannten Wort der amerikanischen Intellektuellen Joan Didion: „We tell ourselves stories in order to live.“
Shenja – vielleicht etwas zu gluckenhaft-verständnisvoll gezeichnet – hört sich diese Geschichten an, nur um jede einzelne davon als Lebenslüge zu entlarven. Ihrem detektivischen Gespür und ihrem gesunden Menschenverstand zu folgen, bereitet beim Lesen sehr viel Freude. Denn Ulitzkaja ist hier ein kluges, warmherziges Buch gelungen, auch wenn den Erzählungen bei Erscheinen ein gewisser Grad von „Seichtheit“ attestiert wurde. Doch diesen Vorwurf muss sich gut gemachte Unterhaltungsliteratur von jeher gefallen lassen. Keine Überraschung. Dass die mit viele Literaturpreisen ausgezeichnete Autorin hier ein für ihre Begriffe eher leichtes Werk vorgelegt hat, das wurde ihr übel genommen, vor allem im deutschsprachigen Raum. Keine Überraschung?