Zu Gast im Podcast: LetteraTour

Von 04.02. 2024 März 15th, 2024 Magazin

Sonderbare Interessen verlangen im Zweifelsfall nach triftigen Erklärungen. So ist das eben. Beschäftigt man sich beispielsweise mit den Literaturen Osteuropas, so wirft das immer wieder Fragen auf. Wie kam es dazu, oder: Warum überhaupt? Oft ist mir nicht ganz klar, ob dererlei Fragen tatsächlich auf eine konkrete Antwort abzielen oder ob sich dahinter nicht vielmehr ein grundsätzliches Infragestellen meines Gegenstands (oder meiner Arbeit) verbirgt. Doch das eine schließt das andere ja nicht aus.

Warum also Osteuropa? Ich kann diese Frage unmöglich beantworten, will es aber dennoch versuchen. Vielleicht interessiert mich das Thema (natürlich geht es hier um sehr viele Themen), weil ich nur wenige Kilometer von der deutsch-polnischen Grenze entfernt aufgewachsen bin? Weil das Polnische in gewisser Weise meine Vatersprache ist? Weil ich mit Anfang 20 quasi alles von Susan Sontag gelesen habe und dadurch mit Namen konfrontiert wurde, die mir gar nichts sagten? Nein, ich habe wirklich keine Ahnung, bin mir aber sicher: es braucht gar keine Gründe, bin mir aber sicher: ein kleiner Anstoß kann gewiss nicht schaden. Dieser zündende Funke war in meinem Fall der Roman Die Wissenden des rumänischen Schriftstellers Mircea Cărtărescu.

Cărtărescus erratischen Roman habe ich im Sommer 2007 durch ein Praktikum im Wiener Zsolnay-Verlag kennengelernt. Ich stürzte mich damals ziemlich unbefangen ins Verlagsprogramm, las wahnsinnig viel (woher nahm ich die Zeit?) und entdeckte fantastische Autoren wie Leo Perutz oder Curzio Malaparte. Besonders fasziniert hat mich jedoch der Rumäne Cărtărescu. Sein Werk barg unzählige Geheimnisse, war schwer zu durchschauen und brachte mich wiederholt an meine Grenzen. Ein so irres Ding, ein so fabelhaft „unlesbares Buch“ – wie es im Roman selbst an gleich mehreren Stellen heißt – hatte ich bis dato noch nicht gelesen.

Die Originalausgabe der Wissenden erschien in Rumänien bereits im Jahr 1996 unter dem Titel Orbitor. Aripa stângă, was so viel wie Blendung. Linker Flügel bedeutet. Dass man sich für die deutschsprachige Version – übersetzt von Gerhardt Csejka (1945 – 2022) – für einen völlig anderen Titel entschied, lässt sich aus verlegerischer Sicht gut nachvollziehen. Zwar fängt die Blendung das Buch hervorragend ein, doch verweist der Begriff zu stark auf den gleichnamigen Roman von Elias Canetti. Und auch der linke Flügel scheint mit Blick auf die Gesamtkonzeption im Grunde schlüssig gewählt, würde den deutschsprachigen Leser:innen aber Rätsel aufgeben. So ließ man den Untertitel einfach weg, um die Eigenständigkeit des Romans zu betonen, der eigentlich den ersten Teil einer Trilogie darstellt. Die zwei weiteren Romane des Orbitor-Projekts heißen Der Körper (so auch im Deutschen) und Rechter Flügel (Die Flügel in der Übersetzung).

Ich habe mich sehr gefreut, dass mich der Lehrer und Schriftsteller Yannick Dreßen vor einer Weile dazu eingeladen hat, in seinem Podcast LetteraTour mit ihm über eins meiner Lieblingsbücher zu sprechen. Meine Wahl fiel auf Die Wissenden – auch weil ich große Lust darauf hatte, dieses „unlesbare Buch“ ein zweites Mal zu lesen und eine Lektüre der weiteren Teile anzuregen. Unser Gespräch ist auf den gängigen Streaming-Plattformen abrufbar.

Postskriptum: Cărtărescus Roman spielt in weiten Teilen auf bzw. im Umfeld der Chaussee Ştefan cel Mare in Bukarest. Die Straße ist stark befahren, die U-Bahn-Station einigermaßen trist – daher habe ich das Buchphoto wenige Stationen weiter aufgenommen: bei der hübsch maroden Piaţa Victoriei (der „Untergrund“ spielt im Roman eine gewisse Rolle). Die Bilder entstanden bereits im September 2021 während eines längeren Aufenthalts in Bukarest, der mir durch ein Stipendium (Internationales Journalisten-Programm) ermöglicht wurde.

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