Viktor Schklowski: Zoo

Von 05.08. 2023 Bücher

erste nachricht: ich weiß doch, dass du meine nachrichten liest. so wie du immer alles von mir liest, auch wenn du mir nicht antwortest. auch wenn du dich nicht bei mir meldest und mich zappeln lässt (wäre ich ein fisch, ich schwämme längst an der wasseroberfläche). zwei blaue häkchen im chatverlauf vertreiben jeden zweifel, zerficken jede uneindeutigkeit. ein anflug von gegenwart. all meine nachrichten erreichen dich. das macht mich noch nervöser, als ich es ohnehin schon bin.

zweite nachricht: es ist unerträglich heiß. meine wohnung habe ich heute noch nicht verlassen (schon die ganze woche nicht). das wasser verdunstet im glas, noch bevor ich es getrunken habe. die stadt ist ein kessel, kein lüftchen weht. ich kann weder denken noch lesen noch schreiben und deshalb schreibe ich dir. du weißt, warum.

dritte nachricht: ich bemitleide mich, schon wieder. es ist wirklich furchtbar heiß, wenn auch nicht so schlimm wie gestern. nicht einmal elf uhr und ich habe schon sieben (unverdunstete) gläser wasser getrunken. ob es möglich ist, von innen zu ertrinken? dich kenne ich nur mit einem glas wein in der hand, wasser sah ich dich nie trinken. es gibt dieses photo von dir am donaukanal, im hintergrund die rossauer kaserne und das flex. so mag ich dich und du dich auch. vor dir eine flasche rotwein, zwischen deinen fingern eine zigarette. das bild ist stimmig, wenn auch zu erprobt. wenigstens muss ich nicht wieder selbst in einem meiner texte rauchen.

vierte nachricht: die vier ist meine lieblingszahl, das hat sich so ergeben. und doch kann ich weder denken noch lesen noch schreiben und deshalb lese ich ein buch. ich habe es bei einem preisausschreiben gewonnen. die zuständige redakteurin von ö1 muss ein ordentliches trampeltier sein. mit kugelschreiber und sehr viel kraft im handgelenk hat sie mir ihre glückwünsche mitten ins buch geschmiert. „mit liebe“, ausrufezeichen. as if.

fünfte nachricht: ich lese also zoo. briefe nicht über liebe, oder die dritte heloise von viktor schklowski, übersetzt von olga radetzkaja, erschienen im guggolz verlag. ich lese also im sommer 2023 ein buch, das im winter 1923 spielt, wenn auch mit wenig schnee. also erstaunlich wenig schnee für die verhältnisse des autors, wie marcel beyer in seinem essay am ende des buches bemerkt. na also.

sechste nachricht: du weißt, wie wenig mich zusammenfassungen interessieren. weder mag ich sie, noch bin ich in der lage, sie zu schreiben. verfasse ich eine sogenannte buchbesprechung, ist das eine einzige umkreisung. kein mensch weiß beim lesen, wovon die rede ist, und ich doofchen lache mir dann auch noch ins fäustchen. anekdoten, abseitiges, anmerkungen und assoziationen. alliterationen. bei der zoo-lektüre ereilt mich der verdacht: dieses buch handelt von mir. von dir auch, aber ja, die literatur ist nicht geizig.

siebte nachricht: die geschichte ist im grunde schnell erzählt. ein mann liebt eine frau und sie liebt ihn nicht zurück. sie will nichts wissen von seiner herzscheiße und auch keine konversation betreiben, die diese herzscheiße auch noch zusätzlich befördert. das betrübt den mann. liebesblöd greift er zu stift und papier und sendet der frau viele viele liebesbriefe, die zwinker-zwinker keine liebesbriefe sind. zoo ist also ein briefroman, ein liebesroman zudem, aber mit wenig herzscheiße.

achte nachricht: es ist ziemlich schnell klar, was hier passiert, aber vielleicht ist es auch deshalb so interessant. der liebesblöde mann schreibt und schreibt und schreibt, der kontakt darf nicht abbrechen, die verbindung zur frau muss aufrecht erhalten werden, auch wenn sie reichlich einseitig ausfällt. das erinnert ein wenig an scheherazade, obwohl es hier nicht um leben und tod geht. aber erklär das mal einem liebesblöden mann.

neunte nachricht: ich bin ein liebesblöder mann, zudem furchtbar leicht zu durchschauen. ich bin ein offenes buch und das ist keine auszeichnung. du bist ein aufmerksamer leser (dadurch zeichnest du dich aus), dir ist völlig klar, was hier passiert. Ich spiele den schklowski durch, nur dass im zoo auch einige briefe der frau enthalten sind. „ich liebe dich nicht, und das wird auch so bleiben“, schreibt sie ihm. oder: „es mag schon sein, dass deine liebe groß ist, aber freude macht sie keine.“ du wirst verstehen, warum ich keine deiner nachrichten beifüge. es wäre zu schmerzhaft. aber du antwortest ja gar nicht.

zehnte nachricht: ich habe dir eine nachricht geschrieben und dann wieder gelöscht. ich habe neu angesetzt, aber alles verworfen. dann bin ich durch die wohnung getingelt, habe weder rotwein noch zigaretten angerührt, dafür aber einen neuen schreibversuch unternommen. doch es geht gerade nicht. alles, was ich schreibe, ist reinster schwulst. erinnert an einen zettel, den man auf dem küchtisch (oder wo auch immer) zurücklässt, wenn man am morgen danach aus der wohnung flüchtet. ich habe mich verausgabt und liege am boden. unter mir und neben mir und auf mir sammelt sich der staub. sag, findest du mich dramatisch?

elfte nachricht: ich sollte dir eine notiz für deinen küchentisch schreiben. ihn dort platzieren, während du noch schläfst. nein, ich möchte lieber nicht.

zwölfte nachricht: der zoo-mann schreibt briefe und erzählt darin vom russischen leben in berlin, vom leben im exil in den 1920er jahren, vom leben im exil überhaupt. der zoo, das ist der zoologische garten, eine heterotopie in mehrfacher hinsicht, das ist auch das menschliche getümmel in den straßen der stadt. der mann schreibt von russischen verlegern, befreundeten autorinnen und autoren, menschen der kunst. der mann schreibt von begegnungen und ereignissen und vom heimweh nach russland, er webt gedichte und lieder und märchen und noch viel mehr zitate und referenzen ein. der mann schreibt von liebe und der mann schreibt von autos.

dreizehnte nachricht: natürlich ist dieser mann viktor schklowski (1893-1984) und dann wieder nicht. dann aber auch wieder doch. belassen wir es dabei. im buch gibt es ein photo des autors in jungen jahren. ein lustiger eierkopf mit kurz geschorenen haaren. er erinnert an eine blank polierte bowling-kugel. du merkst, aus mir spricht der literaturkritiker.

vierzehnte nachricht: das ist eine wirklich schöne edition, erkennt der literaturkritiker. der „eigentliche“ roman (was auch immer das heißen soll) nimmt darin weniger platz ein als erwartet, füllt etwa zwei drittel des buches. ansonsten: vorworte und widmungen und zahlreiche, sorgfältig recherchierte anmerkungen und varianten und in späteren fassungen hinzugefügte briefe und nachworte und essays und biographien. die edition will genauso wenig aufhören wie der briefe schreibende protagonist des romans. alles hat kein ende.

fünfzehnte nachricht: vielleicht ist das auch immer so beim guggolz verlag. immer wieder sebastian guggolz und sein verlag, posterboy der buchbranche. so hot and on everyone’s list. literally. einmal habe ich ihn in seinem verlag in berlin-schöneberg besucht, wo, nebenbei bemerkt, eine pedantische ordnung herrschte. wir haben einen podcast aufgenommen. diese podcasts nehme ich eigentlich nur auf, um selbst nicht reden zu müssen. hast du mich je darin sprechen gehört? ich schneide mich heraus, so gut es geht. das hat nichts mit bescheidenheit zu tun.

sechzehnte nachricht: olga radetzkaja hat bereits schklowskis roman sentimentale reise neu übersetzt, das buch erschien 2017 in der anderen bibliothek. ich sah sie im vergangenen april im leipziger gewandhaus, ihre autorin maria stepanova wurde mit dem leipziger buchpreis zur europäischen verständigung ausgezeichnet. ich sah sie gemeinsam mit katharina raabe und ilma rakusa, klammerte mich an rotwein und zigaretten (nun also doch) und hatte so viel erfurcht, dass ich mich nicht getraut habe, sie anzusprechen. vielleicht beim nächsten mal, wie man so sagt.

siebzehnte nachricht: glaubst du, guggolz und radetzkaja lesen mit? meine nachrichten an dich sind zur veröffentlichung bestimmt. aber ich werde alles verfremden, mehrere lügen einbauen. ich werde alles gerade nicht bis zur kenntlichkeit entstellen, wie es den texten von elfriede jelinek so penetrant zugesprochen wird, dass es gar nicht mehr wahr ist. wahr ist, dass das ich meiner nachrichten und texte kein authenthisches ich ist. natürlich nicht. keine sau braucht so etwas wie authentizität. natürlich will ich nicht natürlich sein.

achtzehnte nachricht: du hast recht. ich habe eine dummheit begangen mit dir, mit mir. aber ich betrachte mich selbst von außen, und mein schicksal macht mir angst. mein literarisches schicksal. ich lande in einem text. (diese nachricht habe ich fast zur gänze bei schklowski gestohlen.) ich lande in einem text und es ist eine bruchlandung.

neunzehnte nachricht: ich schließe das buch und betrachte es erneut. schlowskis roman trägt also den titel zoo. briefe nicht über liebe, oder die dritte heloise. ich finde diesen titel viel zu lang, ziemlich treffend und reichlich affektiert. er gefällt mir also gut. um die vielen wörter des titels schlängelt sich auf dem cover der hals eines schwans. ich muss dabei unweigerlich an das berühmt gewordene oscar-outfit der isländischen sängerin björk denken, das sie auch auf dem cover ihres albums verspertine trägt. in unison, dem letzten track der platte, singt sie: „i can obey all of your rules and still be, be“. ja, auch ich hätte am ende ein „me“ erwartet. doch die gute frau guðmundsdóttir ist ja nicht dämlich und durchbricht hier hübsch den kitsch der zuckrigen melodie. sie will zwar sein, aber gewiss nicht sie selbst. alles hat ein ende, nur der schwanenhals hat zwei.

zwanzigste nachricht: ich muss noch einmal auf den schwanenhals zurückkommen. ich muss von hälsen schreiben. aber auch von den bildern, die ich meinen nachrichten beifüge. sie sind nicht nur teil meiner nachrichten, sie sind meine nachrichten und hägen sich gleichzeitig daran auf. anfang des jahres war ich in brno, in der mährischen galerie. dort sah ich den video-essay casaria des slowakischen künstlers milan mazúr. ein menschliches getümmel im wasser. taucher, badende in guter form, schwimmreifen in guter form (von getier): ich wollte schwäne erkennen, doch womöglich handelt es sich um flamingos. die schwarz-weißen aufnahmen erschweren die genaue zuordnung, auch nachträglich. aber hals bleibt hals.

einundzwanzigste nachricht: über deinen hals habe ich mir noch nie gedanken gemacht (geküsst habe ich ihn, aber das weißt du schon). woran also denke ich, wenn ich an dich denke? ich weiß es nicht. aber hier steht es ja, hier steht ja alles.

letzte nachricht: ich denke an dich. du willst das nicht hören, aber ich denke an dich. herzscheiße.

du hast deine nummer geändert.
ich kann dich nicht mehr erreichen.
nun antwortest du also doch.
ich muss dringend ein glas wasser trinken.

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