”„Unsere Arbeit ist kostbar! Unsere Kundschaft ist Spitze! Marzahn, mon amour!“
Katja OskampMarzahn, mon amour
„O Gott, sie dichtet wieder“, sagt Flocke und grinst.
„Muss ick doch, Schnuffelpuppe“, sage ich, von die Füße alleene kann ja keen Mensch leben.“
Wenige Bücher haben Kritik und Publikum in jüngerer Vergangenheit so sehr begeistert wie Katja Oskamps „Marzahn, mon amour. Geschichten einer Fußpflegerin“ (Hanser Berlin, 2019). Wie aber erklärt sich der Erfolg dieser unscheinbar anmutenden Erzählungen aus dem Berliner Plattenbau? Warum wird ihnen so viel Wärme, Menschlichkeit und Authentizität zugesprochen? Drei mögliche Erklärungen:
1. Das autobiographische Moment: Obwohl im Buch kein „autobiographischer Pakt“ geschlossen wird, scheinen Autorin, Erzählerin und Protagonistin hier doch in eine einzige Instanz zusammenzufallen. Denn das Leben der Ich-Erzählerin – deren Name „die Oskamp“ nur ein einziges Mal Erwähnung findet – weist erkennbare Parallelen zur gestrauchelten Autorin Katja Oskamp auf, die mit Mitte 40 umsattelt, eine Ausbildung zur Fußpflegerin absolviert und letztlich in einem Kosmetikstudio in Marzahn landet. Als wahrhaftig und verbürgt gelten uns damit auch die Lebensgeschichten ihrer Kundinnen und Kunden, obwohl zu keiner Zeit behauptet wird, dass diese auf Tatsachen beruhen. Vielleicht ist es so, doch wir können es nicht wissen. Wir sind geneigt, uns der Illusion hinzugeben.
2. Das geschilderte Milieu: Das Gros der von Oskamp Porträtierten stammt aus einfachen Verhältnissen, aus der Arbeiterklasse, mitunter aus der sogenannten „Unterschicht“. Darunter viele alte und kranke Menschen, Menschen mit gebrochenen Biographien, gebrochen häufig durch die deutsche Wende. Im hier geschilderten Milieu – und nur hier – erblicken wir das „wahre“ Leben. Ein Leben so echt und authentisch, dass wir es nicht teilen wollen und für gewöhnlich lieber aus der Ferne betrachten. Hätten diese Leben einen Farbe, es wäre die Farbe beige. Vielleicht auch grau, so wie die Plattenbauten von Marzahn.
3. Der Bruch mit den Erwartungen: Umso mehr überrascht es uns, wie unvoreingenommen und empathisch sich Katja Oskamp ihrem Sujet nähert. Denn sie blickt nicht auf ihre Gesprächspartnerinnen und -partner herab – ein Blick, an den wir uns gewöhnt haben –, sondern lässt diese oftmals selbst erzählen, in einfacher und reduzierter Sprache, gern mit berlinerischem Einschlag. Einem jeden Kapitel ist der Name der Kundin oder des Kunden vorangestellt, um die/den es im Folgenden gehen wird. Diese Anlage verweist in gewisser Hinsicht auf die Tradition der Protokollliteratur (auch wenn sie dieser nicht zuzurechnen ist), die in der DDR eng mit dem Namen Maxie Wander verbunden war. Auf diese Weise gelingt es dem Buch, Klischees und Voreinnahmen zu hinterfragen und das Gespräch zu eröffnen: „Guten Morgen, du schönes Marzahn!“