Essen ist fertig, nun aber alle ran an den Tisch! Denn Wioletta Greg hat uns eine Polnische Kindheit um 1980 gezaubert und die duftet wirklich bestrickend: nach Wald, verbrannter Haut und brennenden Zeitungen, nach Kalmus und nach Schlamm, nach modrigem Stroh, Wäschestärke und Katzenpisse, nach Mäusedreck und Kardamom. Und dies ist nur ein Bruchteil der Gerüche, die das fiktive schlesische Dorf Hektary nahe Tschenstochau verströmt, in das Greg die Kindheit und Jugend ihrer autobiographisch markierten Protagonistin Wiolka verlegt. Denn jedem einzelnen Kapitel des Episodenromans Unreife Früchte (C.H.Beck-Verlag, 2018) – übersetzt von Renate Schmidgall – haftet ein bestimmtes Aroma an, das uns hinfort trägt in die polnische Pampa der 1970er und 80er Jahre.
Die Schriftstellerin und Lyrikerin Wioletta Greg (eigentlich: Grzegorzewska) setzt in ihrem Text vor allem auf zwei wirkungsmächtige Strategien, um die dörfliche Atmosphäre ihres Heranwachsens heraufzubeschwören – eines Heranwachsens zwischen Papstbesuch und Solidarność, zwischen übergriffigen Ärzten, sozialistischen Kunstwettbewerben und dem frühen Tod des Vaters.
”„Seltsam, das Leben“, sagte er plötzlich zu mir, als der Bus in die Pułaski-Straße einbog. „Kaum hab ich mich in der Welt umgesehen, da nennen die Leute mich schon einen alten Mann, dabei bin ich innen noch wie ein unreifer Apfel.“
Wioletta GregUnreife Früchte
Neben den erwähnten olfaktorischen Akzenten, ist es in besonderem Maße auch die Dingwelt, derer sich Greg bedient. Anders gesagt: Ihr schmaler Roman platzt aus allen Nähten und ist zum Bersten gefüllt mit Objekten, lebendig und unbelebt gleichermaßen – Möbelstücke, Gerätschaften, Lebensmittel, Textilen, Instrumente, Werkzeuge, Streichholzschachteln und Tiere. So viele Tiere! Tiere, die wahlweise gestreichelt, ersäuft, gegessen oder ausgestopft werden.
Gregs literarisierte Jugend ist vollgepfercht mit Dingen. Einiges wirkt ungeordnet, doch nichts ist überflüssig oder angestaubt. Man hält sich gern für ein paar Lesestunden in ihren Erinnerungen auf. Vor allem deshalb, weil ihr kluges Buch neben vielen formalen Parallelen (und inhaltlichen Unterschieden) zu Walter Benjamins Kindheitserinnerungen – Stadt, Bürgertum, Judentum vs. Land, Arbeiterklasse, Katholizismus – über eine ganz eigene Sprache und einen wunderbar nostalgischen Ton verfügt, der immer wieder durch einen feinen Humor gebrochen wird. Ein dichter, gehaltvoller Text, der ganz leicht und beiläufig daherkommt. Guten Appetit!