Womöglich muss man den franko-kanadischen Comic-Autor Guy Delisle gar nicht mehr vorstellen. Seine durchweg unterhaltsamen und kenntnisreichen Reportagen aus China, Myanmar, Nord-Korea oder Israel waren allesamt große Publikumserfolge. Mit seinem letzten Band Geisel (Reprodukt, 2017) betritt er jedoch neue, deutlich düstere Pfade. Anstelle wie gewohnt tolpatschig-humorvoll aus seinem eigenen Leben an der Seite seiner Familie zu berichten, erzählt das Buch die Geschichte des französischen Staatsbürgers Christophe André, der im Jahr 1997 als Mitarbeiter der NGO Ärzte ohne Grenzen im Nord-Kaukasus von tschetschenischen Rebellen verschleppt und über drei Monate in Gefangenschaft gehalten wurde, bis ihm letztlich die Flucht gelang.
Gewiss hätte man aus diesem Martyrium auch die rasante Story einer heroischen Befreiung stricken können. Doch Delisle hat sich wohlweislich dagegen entschieden. Denn sein umfangreicher, ziegelsteindicker Comic – ausschließlich aus der subjektiven Perspektive des Entführten erzählt – konzentriert sich auf die völlige Monotonie und Eintönigkeit, die die 111 Tage Geiselhaft Andrés bestimmten. Hier gleicht ein Tag dem anderen: Essen, Schlafen, Körperhygiene. Vor allem aber: Warten. Es passiert wenig mehr.
Auch die Zeichnungen des Bandes sind schlicht, in schlichten Grau- und Blauschattierungen gehalten. Eine verschüttete Brühe oder eine Zigarette werden allein deshalb zu Ereignissen, weil sie die unerträgliche Routine durchbrechen. Das wirklich Faszinierende an diesem Comic besteht nun darin, dass dessen Lektüre trotz alledem in keinem Moment langweilig wird. Ganz im Gegenteil. Hastig blättert man weiter, obwohl sich die einzelnen Panels oft kaum (und mitunter gar nicht) voneinander unterscheiden. Denn souverän gelingt es Delisle, selbst mit kleinen Mitteln und ohne Effekthascherei und Pathos ein großes Maß an Drive, Spannung und letztlich Empathie für den Gefangenen zu erzeugen.
