Erwiesenermaßen gehört die deftig schwäbelnde Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff mittlerweile zur Riege derjenigen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, denen aufgrund ihres öffentlichen Auftretens ein gewisser Ruf vorauseilt. Im Falle Lewitscharoffs geht es dabei vornehmlich um ein einziges Ereignis, für das sie ihre Worte wohl genauer hätte überdenken sollen. Nun, das hat sie wohl sogar getan. Doch wer sollte mir dem Grad an Empörung rechnen, der ihr damals entgegenschlug? Denn ein Shitstorm brauste auf, als sie 2014 in ihrer Dresdner Rede (Dresden, ausgerechnet) von künstlicher Befruchtung und Leihmutterschaft sprach und die so entstandenen Kinder als „abartige Wesen“ und „zweifelhafte Geschöpfe“ bezeichnete. Harter Tobak, vor allem wenn man ihre anspielungsreiche Rede nicht zur Gänze gehört oder gelesen hat. Und das hatten die wenigsten. Das übliche Prozedere also.
Wie geht man also mit solchen Aussagen um? Die Autorin fortan meiden? Ich meine: Lewitscharoff trotzdem lesen. Denn man tut ihr völlig unrecht, wenn man ihre doppelbödigen Texte rein wörtlich nimmt, und ihren scharfzüngigen bösen Humor nicht versteht oder nicht verstehen will. Dies gilt auch für den vorliegenden Roman Apostoloff (Suhrkamp Verlag, 2009), der ein Paradebeispiel der politischen Unkorrektheit darstellt. Natürlich ist die Phrase völlig abgedroschen – doch beim Lesen bleibt einem das Lachen immer wieder im Halse stecken. Den Spießern sei geraten: Lest zwischen den Zeilen, entspannt euch und schluckt den Klumpen runter. Es ist ein Leckerbissen. Ansonsten eben: Rückwärtsgang.
”„Noch nie habe ich einen so hässlichen Strand gesehen. Überall Drecksbuden mit dröhnender Musik, die Art von Musik, mit der man einen Bürgerkrieg anfängt. Ich bleibe zurück und kotze auf den Strand, scharre das bißchen Schleim mit Sand zu.“
Sibylle LewitscharoffApostoloff
Apostoloff, ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse (Sachsen, ausgerechnet) ist eine resolut garstige Satire über die Bulgarien-Reise zweier Schwestern, die die Überreste ihres toten Vaters in sein Geburtsland überführen und nach getaner Arbeit eine Rundreise durch das Land am Schwarzen Meer anschließen. Ob das so eine gute Idee ist, darüber lässt sich streiten. Denn weder am Verstorbenen noch an Bulgarien wird dabei ein gutes Haar gelassen. Ziemlich erfolglos bemüht sich der titelgebende Chauffeur darum, seinen völlig pietätlosen Mitfahrerinnen sein Land und seine Kultur schmackhaft zu machen. Denn den grantelnden Damen will es einfach nicht schmecken! Die jüngere – und deutlich bösartigere – der beiden Schwestern, trägt ganz klar autobiographische Züge der Autorin, die als Tochter eines bulgarischen Arztes in Stuttgart zur Welt kam (ein Gynäkologe, daher wohl auch ihr Interesse an den in Dresden verhandelten Themen). Ihr literarischer Roadtrip „Apostoloff“ ist eine ätzende, stilistisch brillante Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Familiengeschichte, die völlig auf Sentimentalitäten verzichtet. Auf dem freien Sitz im klapprigen Daihatsu nimmt man als Leser/in gern Platz.